Blendle ist ein niederländisches Medien-Startup, das Zeitungen und Zeitschriften online vertreibt. Anders als bei einem klassischen Abo oder Digitalpass kauft man bei Blendle aber einzelne Artikel statt ganzer Ausgaben. In den Niederlanden konnte das Unternehmen im ersten Jahr über 250.000 Nutzer von diesem Modell überzeugen, in Deutschland startet der Anbieter demnächst unter anderem mit SPIEGEL, SZ, FAZ, Welt, ZEIT, Stern, Auto-Bild, Cicero, 11Freunde und Neon im Angebot. Seit zwei Wochen teste ich das Beta-Programm von Blendle. Das sind meine ersten Einschätzungen:
Viele gute Eindrücke
Ob Layout, Werbefreiheit oder Zeitungsangebot: Blendle macht schon in der Beta-Phase einen sehr guten Eindruck und überzeugt unter anderem mit Werbefreiheit und klug integrierten sozialen Funktionen.
Übersichtliches Layout
Blendle ist simpel aufgebaut und vom ersten Augenblick an verständlich. Auf der Startseite empfangen einen die am häufigsten geteilten Artikel der letzten Tage („Geteilt“), daneben gibt es noch die Übersicht über alle aktuellen Zeitungsausgaben („Blättern“), Benachrichtigungen zu bestimmten Suchworten („Alerts“) und eine Später-Lesen-Funktion. Auf der zweiten Ebene lassen sich die angezeigten Artikel filtern, etwa nach Rubrik (in „Geteilt“) oder nach Zeitung bzw. Zeitschrift (in „Blättern“).
Gewöhnungsbedürftig: Blendle scrollt am Desktop und am Tablet seitlich – eine Technik, die man von Websites nicht gewohnt ist. Nach einer kurzen Umstellungszeit ist das horizontale Scrollen aber sehr angenehm und fürs Überfliegen von Überschrift und Teaser ideal.
Umfangreiches Angebot
Bei vielen anderen Zeitungskiosken finden sich häufig unter einer großen Anzahl an minderwertigen Publikationen nur wenige bekanntere Angebote wieder.
Das Angebot auf Blendle ist dagegen erschlagend: 36 deutschsprachige Zeitungen und Zeitschriften machen bei Blendle mit und die Angebote, die auf der Startseite beworben sind, sind alle komplett im System vorhanden. Komplett heißt: Von jeder Zeitung kann ohne Einschränkungen jeder Artikel und jedes Ressort gelesen werden – und das nicht nur für die tagesaktuelle Ausgabe, sondern auch für alle Ausgaben im Archiv seit Anfang Juni 2015. Je älter Blendle wird, desto interessanter und umfangreicher wird also auch das Angebot – und vielleicht öffnet ja der eine oder andere Verlag seine Türen zum Archiv in Zukunft noch weiter.
Keine Länderschranken
Sämtliche Angebote stehen den Blendle-Nutzern aus allen Ländern zur Verfügung; Länderschranken oder „In deinem Land nicht verfügbar“-Tafeln gibt es nicht. Da es neben den vielen niederländischen und flämischen Zeitungen auch die Washington Post, der The Economist und das Wall Street Journal sowie WSJ.com in den Zeitungskiosk geschafft haben, ist Blendle auch für international orientierte Leser interessant. Das gilt erst Recht, wenn Blendle – wie bereits angekündigt – weitere Märkte erschließt und dann gegebenfalls auch britische oder türkische Verleger integriert.
Content first
Die größte Umstellung von Newswebsites und Printzeitungen könnte tatsächlich die Werbefreiheit sein: Weder auf der Übersichtsseite, noch auf den Profilen oder in den Artikelansichten sind Banner, Interstitials oder Popups zu finden.
Und auch ansonsten lenkt nichts vom Artikel ab: Es gibt keine Related Articles, keine prominent platzierten Social-Media-Buttons, keine SEO-optimierten Zwischenüberschriften, keinen Clickbait und keine Listicles.
Stattdessen: Viel Text, der offensichtlich lektoriert und korrekturgelesen wurde – die Vorteile eines Print-Artikels in der Online-Welt und für einen Digital Native die Wiederentdeckung der „alten Welt“.
Nutzerfreundlichkeit
Man merkt es an verschiedenen Stellen, dass bei Blendle der Nutzer im Vordergrund steht. Da ist beispielsweise die Datenschutzerklärung, in der es heißt: „Die meisten Unternehmen haben Datenschutzerklärungen über unzählige A4-Seiten, geschrieben in einer Sprache, die weder du noch wir verstehen können. Wir finden das lächerlich. Deshalb haben wir unseren Juristen gebeten, in diesem Text so viel normale Sprache wie möglich zu verwenden. Unkompliziert zu schreiben ist für Juristen ziemlich hart, aber er hat es ziemlich gut hinbekommen.“.
Es zeigt sich aber auch beim Bezahlmodell: Mehr als am Kiosk zahlt man bei Blendle in keinem Fall. Sollte man aus einer Ausgabe mehr für Artikel bezahlen als die gesamte Ausgabe kostet, werden alle restlichen Artikel aus dieser Ausgabe automatisch kostenlos freigeschaltet.
Bei den Zahlmethoden fehlt zwar noch die Überweisung/Gebühreneinzug, dafür wird künftig mit Bitcoin auch eine anonyme Zahlung angeboten (derzeit ist die Zahlung per Sofortüberweisung, PayPal und Kreditkarte möglich).
Soziale Funktionen
Blendle ist nicht einfach nur eine ins Netz gestellte Sammlung von Printartikeln. Vielmehr kann man auf Blendle anderen Nutzern, ganzen Themenbereichen oder einzelnen Zeitungen folgen und das Angebots damit wie auf Facebook und Twitter personalisieren.
Die Ressorts (unter anderem Politik, Sport, Fußball, Kultur, Wirtschaft, Interviews) werden dabei von Kuratoren betreut, sodass auch Gelegenheitsnutzer schnell einen guten Überblick über das Zeitungs-Angebot bekommen sollten.
In die gleiche Kerbe schlägt auch der täglich erscheinende Newsletter, der jeden Morgen die wichtigsten Nachrichten und besten Artikel aus allen Zeitungen und Zeitschriften vorstellt – verantwortlich sind dafür übrigens festangestellte Journalisten.
Sharing, Read It Later, Suche, Benachrichtigungen
Pocket, Twitter und Facebook sind bei Blendle vorbildlich integriert. Wer bei den großen Anbietern kein Konto hat, kann die Artikel aber auch direkt bei Blendle speichern und teilen.
Mit der Suchfunktion können nicht nur alle Artikel im Angebot durchsucht werden, sondern auch Alerts für bestimmte Suchbegriffe eingerichtet werden. Erscheint ein neuer Artikel zum Suchbegriff, erhält man auf Blendle und per E-Mail eine Benachrichtigung.
Was noch fehlt
Blendle ist gerade erst ein Jahr alt geworden und in Deutschland noch in der Beta-Phase. Trotzdem konnte mich das Angebot schon in den ersten Wochen größtenteils überzeugen. An einigen Punkten sollte Blendle allerdings noch arbeiten (und macht das laut meinen Informationen auch bereits):
Folgen-Funktion für Autoren
Profilen, Ressorts und Zeitungen kann man schon folgen, für Autoren gibt es eine solche Möglichkeit bislang leider noch nicht. Unverständlich, denn Blendle ist ja das Modell für Menschen, die sich ihre Zeitung individuell zusammenstellen möchten und dabei nicht nur darauf achten, wo ein Artikel erschienen ist, sondern auch, welcher Journalist den Artikel geschrieben hat.
Like-/Danke-/Favoriten-Funktion
Artikel kann zwar jeder Blendle-Nutzer empfehlen, Rückkanäle fehlen aber derzeit noch komplett: Weder eine Like-Funktion noch ein Kommentarfeld machen es möglich, anderen Nutzern für ihre Artikel-Empfehlung zu danken. Für die Nutzer ist es damit kaum möglich, zu sehen, welche Artikel bei den eigenen Followern gut ankommen.
Einheitliche Artikelvorschau
Die Artikelvorschau ist immer gleich groß und wird gegebenenfalls durch den Empfehlungstext noch zusätzlich verkleinert. Für Artikel mit langen oder in Versalien gesetzten Überschriften heißt das: Bevor man den Artikel gekauft hat, kann man kaum absehen, ob der Artikel das Geld auch wirklich wert ist.
Illustrationen im Großformat
Der Pluspunkt von Blendle ist klar die Darstellung von Texten. Großformatige Bilder werden demgegenüber derzeitig noch nicht optimal dargestellt: Das gilt nicht nur für die Regenbogenpresse und Autozeitungen, sondern auch für Zeitschriften, die mit Illustrationen arbeiten. Blendle kann man dabei nur bedingt einen Vorwurf machen – die Verleger sollten aber daran arbeiten, Illustrationen und Fotografien soweit möglich für Blendle ins Querformat zu übertragen oder anderweitig abrufbar zu machen.
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